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Die Entwicklung des Tango Argentino

Instrumentarium

Die typische Besetzung der Frühzeit (um 1865-1895) war das Trio mit Flöte, Violine und Gitarre, manchmal anstelle der Gitarre auch Harfe. Da die Musiker mobil waren, also nie an einem festen Platz spielten, wurde das Klavier nur als Soloinstrument benutzt und war nicht in Ensembles integriert.
Bemerkenswert auch, dass im Tango nie (und auch später nur selten) Schlaginstrumente oder Blechblasinstrumente verwendet wurden.

Das Trio wurde durch die Addition des Bandoneóns zum Quartett und das Bandoneón zum Inbegriff und Hauptinstrument des Tango. Dieser Erfolg beruht neben seiner Vielseitigkeit als Melodie-, Begleit- und Rhythmusinstrument – das also viele Kombinationsmöglichkeiten mit anderen Instrumenten bietet – auch auf dem klanglichen Charakter seiner verschiedenen Register mit unterschiedlicher Klangfarbe.
Letzteres ist auch Thema vieler Tangotexte, wie „Alma de bandoneón“ oder „Bandoneón arrabalero“, in denen das Instrument als Stimme der Vororte, der Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung beschrieben und beschworen wird.
Der allmähliche Wandel vom schnellen staccato zu einem langsameren und etwas schleppenden Rhythmus um 1915 ließ das Bandoneón mit seinen melodischen und klanglichen Möglichkeiten in den Vordergrund treten.

Um 1915 wurden auch Gitarre und Flöte aus dem Quartett verdrängt, die Flöte unterschied sich klanglich zu sehr vom dominierenden Bandoneón und die Gitarre war zu leise und wurde vom Klavier abgelöst. Dies wurde erst dann und dadurch möglich, dass die Musiker immer öfter stationär, also fest in Lokalen spielten, sodass auch das Klavier überhaupt Einsatz finden konnte. So fand das (gegenüber der Gitarre) laute Bandoneón einen angemessenen Partner. Kurze Zeit später wurde die Gitarre das Begleitinstrument des Tango-Canción und wurde nach dem Goldenen Zeitalter wieder in kleinere Ensembles integriert.

Um 1920 nimmt das Tangoorchester sein typische Gestalt an: Die Orquesta típica. In seiner Grundform, dem Sexteto típico, bestand es aus zwei Bandoneóns, zwei Violinen, dem Kontrabass und dem Klavier.
1916 wurde der Kontrabass ins Ensemble hineingenommen, er übernahm hauptsächlich die rhythmische Begleitung, prägte den Tango aber auch mit besonderen Spieltechniken, wie z. B. die Tambora oder der „golpe canyengue“ . Im Sexteto típico wird der Klang ganz wesentlich vom Bandoneón und der Geige definiert. In den darauffolgenden Jahren werden diese Instrumente verdoppelt oder vermehrfacht eingesetzt, um das Sexteto auf eine Orquesta típica anwachsen zu lassen. Mitte der 1920er kam noch ein Estribillista, also ein Sänger, der den Mittelteil eines Tangos sang, dazu; um 1940 wird dann der Sänger vollständig ins Ensemble eingebunden und singt das ganze Lied über.

Im Tango Nuevo (ab 1955) wird sehr viel mit Ensemblegrössen und -besetzungen experimentiert: Die Gitarre  oft die E-Gitarre – wird wieder häufig eingesetzt, Kompositionen für verschiedenste Instrumenten-konstellationen ausprobiert, mit Schlagzeug, Synthesizer, Blechbläser usw.

Frühzeit

Die Musiker der Frühzeit waren Autodidakten, meist ohne Notenkenntnisse, weswegen es aus dieser Zeit fast keine Überlieferungen gibt. Während die ersten Einwanderer mit jedem verfügbaren (mitgebrachtem oder aufgefundenem) Instrument (Mandoline, Gitarre, Akkordeon,…) Musik machten, kristallisierte sich mit der Zeit eine feste Triobesetzung, bestehend aus Flöte, Geige und Gitarre, heraus.
Die Gitarre lieferte hierbei das harmonische Gerüst und begleitete die beiden anderen Instrumente, die Melodien improvisierten; eventuell ergaben sich daraus grobe Muster eines Stückes, der Grundcharakter war aber der improvisierter Musik, wobei die musikalischen Erfahrungen aus dem jeweiligen Heimatland des Musikers seine Art zu spielen stark beeinflusst haben wird. Daneben wurde der Tango auch von der Drehorgel verbreitet, die oft anstelle einer Live-Band die Musik machte. (Auch in vielen Tangotexten findet sie Erwähnung, beispielsweise in „El último organito“ oder „Organito de la tarde“).

Die Auftrittsorte variierten ständig, die Musiker waren mobil und spielten in Mietskasernen, Kneipen, Bordellen, auf Jahrmärkten, Volksfesten, an Strassenecken… Und immer war es Musik zum Tanzen. Das Repertoire war sehr vielseitig und reichte von den klassischen europäischen Modetänzen, wie Mazurka, Polka, Chotis, Walzer bis zur Milonga, Habanera und dem Tango Andaluz. Oft waren die Grenzen zwischen den Stilen fließend, die letztgenannten wurden – wie oben erwähnt – aufgrund ihrer rhythmischen Ähnlichkeit oft miteinander verwechselt. Aus eben diesen Musikstilen (mit dem Candombe) entwickelte sich der Tango – wie die frühen Tangos „Andate a la Recoleta“ oder „Dame la lata“ – , wobei sich die Musiker dessen anfangs wahrscheinlich gar nicht bewusst waren .

Aus dieser Zeit existieren keine Tonaufnahmen, aber veröffentlichte Noten aus der Tangofrühzeit (, wie beispielsweise „Andate a la Recoleta“ von 1880,) lassen den Eindruck einer fröhlichen und leicht-beschwingten Tanzmusik entstehen, die nichts mit dem getragenen Charakter zu tun hat, den der spätere, vom Bandoneón geprägte Tango ausstrahlen wird .

Guardia Vieja

Über die Musiker der Guardia Vieja und ihre Motivation bzw. den Grund warum sie gerade Tango spielten, ist wenig bekannt, da es wenig biographische Dokumente gibt; sie spiegeln aber die zusammengewürfelte argentinische und uruguayische Gesellschaft wieder.

Das Hafenviertel „La Boca“ entwickelte sich um die Jahrhundertwende zum Zentrum der Tangoszene. Viel Publikum, auch aus den anderen Stadtteilen, besuchte die Cafés und Kneipen, um zu tanzen und um dem jeweiligen Ensemble zuzuhören. Nach und nach wurden die Ensembles, die gemischte und internationale Tanzmusik spielten, verdrängt von Gruppen, die sich auf Tangos spezialisierten. Diese neuen Konstellationen – es spezialisierten sich Ensembles auf Tango, die Musiker spielten fest an einem Platz und nicht nur mal hier und mal dort an den Strassenecken und die andere Aufmerksamkeit der Zuhörer – bewirkten, dass sich Musiker und Musik änderten. Es wurden professionelle Ensembles gegründet, die sich durch deutlich verbessertes Spiel von den Laienensembles unterschieden. Und jede neue Gruppe versuchte wiederum einen individuellen Stil zu entwickeln, um sich von den anderen Bands abzuheben. So wurde sowohl die Entwicklung der Instrumentaltechnik, vor allem die des noch „jungen“ Bandoneóns, als auch die Entwicklung der Tangomusik und der sie charakterisierenden Eigenschaften stark vorangetrieben.

So setzte der Bandoneonist, Komponist und Texter Juan Maglio „Pacho“ als erster das Bandoneón als Soloinstrument mit Ensemblebegleitung ein und etablierte es an der exponierten Stelle in den Orchestern. Die frühen Aufnahmen, die er mit seinem Quartett „Pacho“ machte, waren übrigens so erfolgreich, dass man eine Zeit lang Schallplatten als „Pachos“ bezeichnete.

Roberto Firpo, der das Klavier endgültig in das Tangoensemble eingliederte, trug als Pianist, Komponist und Orchesterleiter entscheidend zur Klangverschmelzung, sowie der charakteristischen Durchhörbarkeit aller Instrumente bei. In Firpos Arrangements kristallisieren sich die unterschiedlichen Aufgaben der Instrumente heraus: Er selber übernahm am Piano die Leitung und sorgte durch seine einfallsreiche Ausarbeitung der Begleitung der linken Hand sowie durch sein bewegliches Tempo für das rhythmische Fundament. Während also die „..Ausarbeitung einer rhythmischen Basis, die sich vom traditionellen Schema strenger Akzentuierung durch subtile Temposchwankungen und geschmeidige Dynamik abhob“ Firpos Aufgabe war, blieb das Thema meist dem Bandoneón überlassen, das damit also klar im Vordergrund stand, während die Violine den Contracanto spielte.

Der Geiger und Orchesterleiter Francisco Canaro reagierte auf die Lautstärkendominanz des Klaviers mit der unisono-Verdopplung der Violin- und Bandoneónstimme, außerdem fügte er den Kontrabass hinzu, womit das rhythmische Fundament ganz wesentlich gestärkt wurde. Dieser neue und typische Klang des Sexteto típico, mit seinen zwei Bandoneóns, zwei Violinen, Kontrabass und Klavier, prägte nachhaltig die folgenden Generationen der Tangomusik.

Neben der Professionalisierung der Ensembles – angefangen bei der sich entwickelnden Spieltechnik mit der daraus resultierenden Erweiterung der klanglichen Möglichkeiten, über die Kenntnisse im Notenlesen bis zur Möglichkeit mit der Musik sein Geld zu verdienen – und der sich entwickelnden Besetzung der Orquesta típica, ist die Verlangsamung des Tempos, sowie die Aufgabe des Habanera-Rhythmus` zugunsten eines 4/8-Taktes mit gleichmäßig betonten Achteln wesentliches Merkmal dieser Zeit. Der Tango veränderte dadurch grundlegend seinen Charakter: Anstelle des schnellen, fast flüchtigen staccato-Spiels trat ein langsameres, melodiöseres Spiel des Bandoneóns mit deutlicher Phrasierung und Artikulation in den Vordergrund; und durch die Aufgabe der rhythmischen clave erhielt der Tango seine „strenge“ und regelmäßige rhythmische Eigenart.
Es ist schwer festzustellen, ob dieser Wechsel daher kommt, dass die Bandoneonisten den schwierigen technischen Erfordernissen nicht gewachsen waren und deswegen das Tempo verlangsamten oder ob gerade das Gegenteil zutrifft, dass nämlich die Bandoneonisten durch ihre verbesserten Fähigkeiten einen neuen klanglichen und rhythmischen Charakter durchsetzten, der das melodische Element ihres Instruments besser hervorhob.

Zusammenfassung der politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen

Zwischen 1905 und 1912 fand in Argentinien ein wirtschaftlicher Aufschwung statt, so dass relativ schnell eine Mittelschicht entstand, die zusammen mit der Industriearbeiterschaft bald auf soziale Reformen und politisches Mitspracherecht bestand. Aus „Angst vor einer Allianz von Arbeiterklasse und städtischem sowie ländlichem Kleinbürgertum“ leitete die Oligarchie von Großgrundbesitzern, Finanz- und Handelsmagnaten in den darauffolgenden Jahren Arbeits- und Wahlrechtsreformen ein. Durch diese Neuerungen lockerte sich die feudale Zweiklassengesellschaft Argentiniens und die neu entstehende dritte Klasse, nämlich die Mittelschicht aus gelernten Arbeitern, Handwerkern und Angestellten konnte erstarken. Schon früh politisch organisiert erreichte diese Bevölkerungsschicht bei den Präsidentschaftswahlen 1916 durch den Sieg der Radikalen Bürgerrechts-union (UCR) mit ihrem Kandidaten Hipólito Yrigoyen einen politischen Wechsel. Diese neuen Bedingungen ermöglichten immer mehr Arbeitern und Angestellten die Conventillos zu verlassen.

„Zwei Faktoren förderten diese Entwicklung: Der wirtschaftliche Aufschwung zwischen 1905 und 1912 und die Einführung der elektrischen Straßenbahn: Jetzt waren viele Arbeiter in der Lage, preiswert und schnell an den Stadtrand zu fahren. Der Arrabal war nicht mehr länger Sündenpfuhl und sozialer Brennpunkt, sondern Wohnstätte für die Familien der Mittelschicht. Bordelle, Cabarets und Nachtclubs verlagerten sich zunehmend ins Zentrum“.

Der plötzliche Sinneswandel der reichen Oberschicht im Zentrum, die zuvor den Tango moralisch disqualifizierte und ihn ausschließlich dem Rotlicht- und Unterweltmilieu zuordnete, war vor allem dem umwerfendem Erfolg, den der Tango in Europa und vor allem in Paris feierte, geschuldet. Während der Tango in Europa schon groß in Mode war, erklärte der argentinische Botschafter Enrique Larreta noch 1914:

„`Der Tango ist in Buenos Aires ausschließlich ein Tanz schlecht beleumdeter Häuser und Tavernen der übelsten Art. Niemals tanzt man ihn in anständigen Salons oder unter feinen Leuten. Für argentinische Ohren erweckt die Musik des Tango wirklich unangenehme Vorstellungen.´“

Die argentinische Oberschicht, deren kultureller Mittelpunkt schon immer Paris war und die bis dato jede Mode eifrigst nachahmte und übernahm, fügte sich dem europäischen und Pariser Tango-Boom und münzte – mit reichlich Verspätung – diesen zuvor als obszön und kunstlos diskriminierten Tango zu einem typisch argentinischem Kulturgut um und stürzte sich mit Begeisterung in die nun eigens für sie geöffneten, dem Stil der Pariser Cabarets nach-empfundenen Vergnügungspaläste.

Das Aufkommen des Tango-Canción, mitsamt dem Rummel und dem Starkult um seine Sänger sowie die Erschließung eines Massenmarktes im Stile Gardels beschert dem Tango und den Musikern einen immensen Boom:

„Der Tango entwickelte sich nun zu einem wichtigen Exportgut der wachsenden Unterhaltungsindustrie. Umtriebige Geschäftsleute wie der Komponist und Violinist Francisco Canaro förderten diese Entwicklung, indem sie Rundfunk, Film- und Plattenindustrie geschickt nutzten. Musiker und Komponisten arbeiteten immer professioneller“.

Tango-Canción

1917 nimmt Carlos Gardel mit „Mi noche triste“ seinen ersten Tango auf Schallplatte auf. Das bedeutete den Beginn des Tango-Canción und das Ende der Alten Garde.
Davor interpretierten die Sänger meist ländliche Folklore, sodass es noch nicht viele Tangolieder gab. „Bis jedoch ein grösseres Repertoire von Tangoliedern vorhanden war und sich spezifische Normen des Liedvortrags entwickelt hatten, vergingen noch mehrere Jahre.“ An den Schallplattenaufnahmen so bekannter Sänger wie Gardel, Corsini oder Magaldi wird deutlich, dass sie anfänglich keinen oder nur wenig Tango sangen, sondern – auch oft im Duo mit einem weiteren Sänger – gemischtes Repertoire aus Zambas, Valses criollos, Tonadas, Estilos, Gatos, Chacareras, Triunfos, Cuecas,.. also traditionelle, ländliche Lieder und Tänze und neue, die gerade in Mode gekommen waren.

Da die Sänger die neuen Stars waren, erhielten auch die Texte große Wichtigkeit, sodass sie bald zu einer eigenständigen künstlerischen Form wurden. Gesellschaftliche Probleme werden dort zwar meist nur indirekt angesprochen, kommen aber immer latent zum Ausdruck und verhindern so eine – bei einer Massenkultur häufig auftretende – Verflachung. Auch wird deutlich, dass der Tango, trotz seines Erfolges bei den Reichen und Privilegierten, also immer noch in den Schichten blieb, in denen er entstanden war und weiterhin entstand.
„Im Unterschied zur argentinischen Oberschicht, die etwa ab 1920 die besten Musiker für exklusive Salonveranstaltungen gelegentlich anmietet unter der Bedingung, sich tadellos zu benehmen und keine Tangotexte zu singen, wird für das breite Publikum der gesungene Tango immer wichtiger.“ Um 1940 wurden die Sänger in die Orquesta típica integriert. Die Orchestervokalisten sangen dann neben Tangos nur noch Valses criollos und Milongas, während die anderen Lieder der Folkore ausgespart wurden und von Solisten wie Atahualpa Yupanqui oder Mercedes Sosa oder auch von Sängergruppen aufgeführt wurden, die ihrerseits wiederum den Tango ausklammerten. „Es fand also ein Wechsel[….] vom vielseitigen ´cantor nacional zum spezialisierten Orchestervokalisten statt“ . Diese Funktion als Solist entstand durch die Ausweitung der Aufgaben des „estribillista“ oder „chansonnier“: Ab 1924 sangen diese den „estribillo“ oder „refrán“, also den B-Teil eines meist in ABA-Form komponierten Tangos. Hauptsächlich durch das Interesse des Publikums an den Texten wurde der vokale Solopart ausgeweitet, sodass der „cantor de orquesta“ den ganzen Tango sang und das Orchester nur begleitete. Allerdings erhielten die Ein- und Überleitungen nun besonderes Gewicht und wurden mit raffinierten Arrangements gestaltet.

Das wichtigste und populärste Medium zur Verbreitung des Tango war das Radio: Die etwa 20 Rundfunksender der 30er Jahre erreichten ein größeres Publikum (und zwar mehrere Stunden täglich) als die Schallplatte, die sich viele nicht oder nur selten leisten konnten, da der Preis etwa dem Tagelohn eines Arbeiters entsprach.
Die Blütezeit für Tangosängerinnen waren die 20er und 30er Jahre. Sängerinnen wie Rosita Quiroga und Mercedes Simone traten in den 20ern gleichzeitig im Volkstheater , dem „sainete porteño“, auf, während die Stars in den 30ern, z.B. Libertad Lemarque oder Nelly Omar, in der argentinischen Filmindustrie, die den ganzen lateinamerikanischen Raum dominierte, arbeiteten. In den 20ern gab es sogar mehr und bekanntere Tango-sängerinnen als Sänger; diese Vorherrschaft endete erst mit dem Aufkommen der Orchestersänger Anfang der 40er.

Guardia Nueva

Die Veränderung der Gesellschaftsstruktur Argentiniens, symbolisiert durch den Amtsantritt Yrigoyens 1916, der eine „neue Ära demokratischer Mitbestimmung und Verantwortung“ einleitete, bedeutete zugleich einen gesellschaftlichen Funktionswandel des Tango: Das Umfeld des Tangos änderte sich, es wurde feiner und reicher, und Tango wurde nicht mehr nur in den Kneipen und Cafés der arrabales gespielt und getanzt, sondern vor allem in den Cabarets und Clubs auf den großen Avenidas im Zentrum.

Musik (, besonders sichtbar in den Titeln und Texten früher Kompositionen) und Tanz (, mit seinen provozierenden, „unzüchtigen“ Körperbewegungen der „cortes y quebradas“,) wollten nicht mehr gegen Sitte und Anstand verstoßen. Mit dem ökonomischen, politischen und wirtschaftlichen Aufstieg änderten sich auch die ästhetischen Ansprüche: „Aus der Provokation wird eine Demonstration der eigenen Leistung“ . Die Spielweise der Orchester der Guardia Vieja wurde nach und nach überwunden. Die Musiker waren nun ausschließlich Professionelle, technisch wie künstlerisch auf höchstem Niveau, mit sich entwickelndem persönlichen Stil, und probten stundenlang, um die gewünschte Perfektion zu erreichen. Somit änderte sich auch die Musik: Die von den Musikern der Guardia Vieja noch hauptsächlich benützten stufeneigenen, einfachen Dreiklänge/Akkorde wurden modifiziert und wichen immer raffinierteren Harmonien; der Contracanto wurde immer eigenständiger und manchmal wurde noch ein weiterer zugefügt; es wurde kunstvoll mit komplizierten Rhythmen und weiteren kontrapunktischen Elementen gespielt. Vor allem Orchesterleiter und herausragende Solisten entwickelten den Tango durch die Erneuerung oder Einführung bestimmter Spielweisen weiter und gestalteten neue interpretatorische und kompositorische Konzepte in ihren Arrangements aus.

So erneuerte beispielsweise der Bandoneonist Eduardo Arolas die Spielweise seines Instruments, indem er die strenge Aufteilung (die rechte Hand spielt die Melodie, die Linke begleitet) auflöste und z.B. Melodien auch in Terzen, Sexten und Oktaven ausführte.

Der Geiger Julio de Caro gab seinen Solisten im Orchester erheblich mehr Freiraum für ihre Interpretation als bisher üblich; er entwickelte auch die Bedeutung der Gegenstimme weiter, die dann fast gleichberechtigt neben dem Thema stand oder es als neue Hauptstimme in einer Wiederholung ablöste.

Pedro Maffia, der eine Zeit lang im Orchester de Caros spielte, entwickelte einen unverwechselbar eigenen Stil der Phrasierung auf dem Bandoneón, indem er die Phrasen auf eine Art stauchte, dehnte und verzierte, die sehr an Gardels Gesang erinnerte.

Durch solche Neuerungen wurden neue Standards, sowohl technischer als auch künstlerischer Art, gesetzt, sodass sich nachfolgende Musiker ermutigt fühlten (oder gezwungen waren?) neue und eigene Wege der Interpretation zu suchen. Andere wiederum wollten Traditionen wahren und setzten auf eine Verfeinerung ihrer bisherigen Spielweise. Es zeichneten sich also zwei Stränge ab: Orchester, die eher der traditionellen Linie verpflichtet blieben, wie die von Roberto Firpo oder Francisco Canaro und Orchester, die auf evolutionäre Neuerung setzten, wie die von Julio de Caro, Juan Carlos Cobián oder Osvaldo Fresedo.

Der Tango erfuhr auf verschiedenste Art Verbreitung:

Aufgrund des weltweiten Booms reisten viele Musiker immer wieder für Tourneen nach Europa oder ließen sich dort, hauptsächlich in Paris nieder. Gleichzeitig wurden Tangos in fast jedem Volkstheaterstück obligatorisch, sollte es beim Publikum ankommen. Selbst in den Pausen wurden Orchester engagiert, um Tangos zu spielen.
Eine neue Möglichkeit tat sich für die Musiker auf, als die Stummfilme nicht mehr vom Klavier, sondern von einem Orchester musikalisch untermalt wurden; so wurde manchmal ein bestimmtes Ensemble der eigentliche Grund des Kinobesuch. In den und durch die noch relativ jungen Medien Film, Rundfunk und Schallplatte bekam der Tango eine weitere wichtige Plattform. Auch die Cafés und Clubs in Buenos Aires spürten die anhaltende Tangobegeisterung, sodass aufgrund der Nachfrage zahlreiche Sextetos típicos entstanden.

Ende der 20er Jahre geriet der Tango in eine Krise: Ein wichtiger Arbeitsmarkt für die Orchester fiel mit der Einführung des Tonfilms plötzlich weg. Dazu wurden in diesen auch andere, noch nicht gehörte Musikstile wie der Jazz bekannt gemacht, die sehr bald das Publikumsinteresse weckten; somit passten sich auch das Radio und die Schallplattenindustrie dem neuen Trend an. 1930 putschte der rechtsradikale General Felix Uriburu, verbot das Volkstheater und raubte so vielen Musikern ihre Lebensgrundlage. Hinzu kam, dass viele Cafés, in denen Sextetos típicos ihren Arbeitsplatz hatten, in Restaurants ohne Musik umgewandelt wurden. Es überlebten nur die beliebtesten Orchester. Während einige versuchten die Tradition zu wahren und dem Geschmack des Publikums zu entsprechen, experimentierten andere durch Hinzunahme anderer Instrumente, wie Vibraphon, Harfe, Holz- und Blechbläser mit der Vergrößerung des Orchesters, sodass eine Art Tango mit symphonischen Elementen entstand, der aber vom Publikum – mit seinen meist konservativen Hörgewohnheiten – überwiegend abgelehnt wurde und erst Jahre später von neuen Musikergenerationen wiederentdeckt und weiterentwickelt wurde.
Argentinien fiel mit dem Putsch und der Militärdiktatur Uriburus in eine politische und gesellschaftliche Krise. Dazu erreichte 1936 die Weltwirtschaftskrise das Land und brachte Massenarbeitslosigkeit, Armut und Elend.

„Das nationale Wertesystem löste sich auf, die politischen Institutionen wurden in Frage gestellt, die leise Öffnung der argentinischen Gesellschaft seit 1910 wurde ausgebremst und zurückgeschraubt, politische Gegner inhaftiert und gefoltert.“

Goldene Ära

Ende der 30er erlebte Argentinien den größten Wirtschaftsaufschwung seiner Geschichte. Es hatte sich zwar weder die politische noch die wirtschaftliche Lage wirklich verbessert, doch benötigte das im Weltkrieg versunkene Europa das, was Argentinien in Überfülle besaß, nämlich Lebensmittel. Durch den Export von Fleisch und Getreide wurde die Rezession überwunden, sodass die Bevölkerung wieder mehr Geld hatte, das es ausgeben konnte, um sich zu amüsieren. Die bekannten großen Clubs und Cabarets waren wieder gut besucht, Sportclubs und Sozialvereine organisierten in ganz Argentinien Feste und Tanzveranstaltungen. So wurden viele neue Tangoorchester gegründet und die besten oder bekanntesten unternahmen ausgedehnte Inlandstourneen. Da alle argentinischen Haushalte mittlerweile Radios hatten, verbreitete sich der Tango überall und die große Nachfrage ließ die Schallplatten- und Musikindustrie boomen. Hauptkonkurrent war der Jazz, der mit den Tonfilmen ins Land gekommen war. Es wechselten sich oft eine Jazz-Gruppe mit einem Tangoensemble ab, um sowohl für das Publikum als auch für sich einen annehmbaren Kompromiss zu finden. Diese Wettbewerbssituation erforderte und provozierte von jedem Orchester eine hohe Qualität und einen unverwechselbaren Stil, um die Gunst des Publikums zu gewinnen.

Um den Andrang in die großen Tanzsäle akustisch zu bewältigen, wurde das Sexteto típico zur Orquesta típica vergrössert: Geigen und Bandoneóns wurden mindestens verdoppelt und zwei neue Instrumente wurden integriert, sodass neben dem Piano und dem Kontrabass nun Bratsche und Cello neben vier oder fünf Bandoneóns und Geigen spielten.

Damit wurde nicht nur die Lautstärke angehoben, sondern auch die Ausdrucks- und Arrangiermöglichkeiten erheblich erweitert. Da oft dieselben Stücke gespielt wurden und die verschiedenen Strophen nicht gleich klingen sollten, wurden die Arrangements extrem wichtig für die Umsetzung stilistischer und musikalischer Ideen, auch, um als Orchester unverwechselbar oder zumindest unterscheidbar zu klingen. Meist machten die Musiker selbst die Arrangements, manchmal übernahmen auch professionelle Arrangeure wie z.B. Argentino Galván diese Aufgabe.

Im Goldenen Zeitalter fanden einige wesentliche musikalische Entwicklungen statt:

Der große Bandoneón-Virtuose und Orchesterleiter Aníbal Troilo führte als erster einen Sänger ins Orchester ein, der das ganze Lied über sang; somit änderte sich auch das Repertoire, das bis dahin nur aus Instrumentalstücken bestand. Neben den vielen reinen Orchesterstücken, die Troilo noch immer spielte, begleitete sein Ensemble den Sänger Fiorentino und trat nur in den Einleitungen und den Überleitungen in den Vordergrund  zu beidseitigem Nutzen:

„`Fiore brachte uns dafür Bühnenpräsenz bei und verlangte, daß wir uns dem Publikum immer mit einem herzlichen Lachen auf den Lippen zeigten. Ich weiß noch genau, wie er sich darum kümmerte, daß wir immer gut gekämmt und hochmodisch gekleidet auftraten.`“

Bald nahm Troilo auch noch einen zweiten Sänger dazu und das Gesangsduo wurde nun in allen Orquestas Típicas die Regel, „in den vierziger Jahren wurde der Tangogesang so populär, daß viele Orchester mit ihren jeweiligen Sängern identifiziert wurden.“ Troilos Orchester war wegen seiner hervorragenden Arrangements und seiner musikalischen Expressivität bekannt; er selbst beeindruckte mit technischer Virtuosität und sensibler, ausgefeilter Phrasierung, während sein Pianist Orlando Goñi, der durch die Einführung einer Art Walking-Bass die Begleitmöglichkeiten erweiterte, sich durch seinen Swing und Groove auszeichnete.

Der Pianist Osvaldo Pugliese, der mit seinem Orchester eine sehr perkussive und rhythmisch stark akzentuierte Begleitung mit teilweise polyrhythmischen Strukturen herausarbeitete, gilt als einer der Wegbereiter des modernen Tango.

Ein weiterer Erneuerer war der Pianist Horacio Salgán, in dessen Arrangements eine sehr komplexe rhythmische Vielfalt zu Tage tritt und der mit seinem stark vom Jazz beeinflussten harmonischen Denken Teile des Tangopublikums verstörte.

Die Ensembles dieser Zeit spielten über einen langen Zeitraum zusammen, sodass die Musiker eine sensibel aufeinander reagierende, gemeinsame musikalische Sprache entwickeln konnten und mit einer bis dato unerreichten Perfektion musizierten. Dies war, neben dem Anwachsen zur Orquesta típica, dem hohen technischen Können und der zunehmenden Bedeutung des Arrangements, wesentlich für diese Epoche.

Mit zunehmender Verbesserung der wirtschaftlichen Lage in Europa nach dem zweiten Weltkrieg verschlechterte sich die argentinische. Trotz des Booms hatten es die Verantwortlichen in Industrie und Politik nicht geschafft die Wirtschaftsstruktur nachhaltig zu entwickeln, sodass mit dem Nachlassen der Nachfrage nach Lebensmittel sich eine schwere und lang anhaltende Wirtschaftskrise breit machte. Nach dem Sturz Peróns 1955, der – neben weiteren protektionistischen Gesetzen zur Förderung der argentinischen Kultur – verfügt hatte, dass die Radiostationen 70% einheimische Musik spielen mussten, also weitestgehend Tango, verschlechterte sich die Lage der Tangomusiker weiter. Nachdem Mitte der 40er schon der Bolero in Mode gekommen war, wurde nun auch – neben dem schon beliebten Jazz – andere Musik populär. So wendeten sich viele Jugendliche vom Tango ab und dem Rock´n´Roll und später dem Beat und dem Rock zu. Durch den Geldmangel und dem schwindenden Interesse des Publikums mussten viele Clubs und Cabarets schließen und durch die sich verringernde Bedeutung des Radios, zugunsten des neu aufgekommenen Fernsehens, verloren viele Musiker ihren Arbeitsplatz.
Als Folge lösten sich viele Orchester auf oder verkleinerten sich wieder. Die Musiker versuchten in Orchester unterzukommen, die immer noch berühmte Sänger wie Julio Sosa begleiteten oder gründeten kleine Ensembles. So spielte Troilo mit dem Gitarristen Roberto Grela zusammen und Salgán mit dem E-Gitarristen Ubaldo de Lio, (der die E-Gitarre in den Tango einführte,) und im Quinteto Real.

Während der Goldenen Zeit spielten die Gitarristen, da sie wegen der zu geringen Lautstärke nicht Teil der Orquesta típica waren, nur in kleinen Cafés oder bei Tartulias . Aus gitarristischer Sicht bedeutete das Ende der Goldenen Ära einen Wiederanfang, da sich die Gitarre in die entstehenden kleinen Ensembles bestens integrieren ließ:

„Danach verkleinerten sich – wegen ökonomischer Probleme – die großen Orchester und die Gitarre kehrte zurück, aber in den meisten Fällen in ihrer elektrischen Version, was nicht mehr das gleiche war wie die Gitarre der Guardia Vieja. Heute kann man in den Orchestern beide Typen der Gitarre finden.“

Tango Nuevo und Tango heute

Dem Niedergang der Goldenen Ära folgte eine lange Flaute in den 60ern, es wurde fast kein Tango gespielt und getanzt und so fehlt auch aus diesen Jahren fast eine ganze Generation von Musikern. Die wirtschaftlichen, politischen – nach Peróns Sturz übernahmen verschiedene Militärjuntas die Regierungsgeschäfte – und gesellschaftlichen Umstände ließen keine Entwicklung zu, sodass nur wenige Musiker, meist mit traditionellem Tango im Repertoire auftraten.

Die große Ausnahme war der erst geächtete, später als Erneuerer des Tango gefeierte Bandoneonist Astor Piazzolla. Als Schüler Alberto Ginasteras für Komposition, Harmonielehre und Orchestration und durch seine Liebe zum Jazz lernte er schon früh andere Herangehensweisen an die Musik kennen. Die Gründung seines Oktetts – ein Sexteto típico, das er mit Schlagzeug und E-Gitarre erweiterte – wird mit der Geburt des Tango Nuevo gleichgesetzt, der das Publikum, Presse und Musiker gleichermaßen spaltete. Nach Experimenten mit verschiedenen Besetzungen und Instrumenten (u.a. Synthesizer, Saxophon, klassisches Orchester,…) gelang ihm 1978 mit seinem Quintett der internationale Durchbruch, der auch eine Art Wiedergeburt des Tango einläutete.

Astor Piazzolla
# Originalaufnahmen in „real audio“:
bei www.piazzolla.org

Unsere Auswahl:
# Milonga del Angel
# The Rough Dancer and the Cyclical Night

Während der Militärdiktatur 1976 – 1983 flohen viele Künstler, Musiker, Schriftsteller und Intellektuelle ins europäische Exil. In Paris wuchs eine kreative Szene aus politisch engagierten Tangomusikern, die – von der staatlichen Bedrohung aus der Heimat vertrieben – für sich und auch für den Tango neue Ausdrucksmöglichkeiten suchen mussten.

„Wir waren nur etwa zehn junge Musiker, die hier eine neue Tangobewegung schufen. Aber wir erregten damit ziemlich viel Aufsehen, was den argentinischen Militärs üb erhaupt nicht gefiel. Wir kämpften mit unserer Musik gegen die Militärdiktatur und für die Wiederherstellung der Menschenrechte.[…]. Aber zugleich geschahen interessante, kreative Dinge. Man traf sich und diskutierte – viel mehr, als man es heute tut – und man produzierte, voller Wut und Verzweiflung. Diese Jahre prägten mein Leben und den Inhalt meiner Musik. Weil mich die politischen Umstände an meine Grenzen trieben, entdeckte ich Eigenschaften, die ich mir nie zugetraut hätte.“( )

Neben Piazzolla waren es Musiker wie Gustavo Beytelmann oder Juan José Mosalini, die so sich und dem Tango neue Perspektiven erschlossen und die Wiederauferstehung des schon totgeglaubten Tango einleiteten.

Das wichtigste Kennzeichen des Tango Nuevo ist neben den vorherrschenden Eigenkompsitionen – die Übernahme der grundlegenden Elemente des Tango, der Harmonik, dem Rhythmus, der Artikulation, der Akzentuierungen und der Phrasierung, die aber in einem anderen formalen (keine traditionelle ABA-Form) und strukturellen (kompositorischen) Kontext gesetzt werden und somit auch Änderungen erfahren. Dabei kommen je nach Musiker die unterschiedlichsten Einflüsse zum Vorschein. Diese können von jedweder Musik kommen, von verschiedensten Arten der klassischen Musik, samt den jeweiligen Kompositionsprinzipien, vom Jazz, von brasilianischer, kubanischer Musik, von neuer oder alter Folklore,…..
So reicht auch die Palette von einem Trio mit klassischen Tangoinstrumenten, wie das von Beytelmann, Mosalilni und Corsini (Klavier, Bandoneón, Kontrabass) bis zu exotischeren Kombinationen eines Trios mit Dino Saluzzi (Bandoneón, Stimme, Percussion), David Friedman (Marimba, Vibraphon, Percussion) und Anthony Cox (akustischer und E-Bass) oder einer Zusammenarbeit von Quique Sinesi (Gitarre) und Charlie Mariano (Saxophon).

Über die Frage ob und was daran noch Tango ist, kann man sich natürlich (und sollte man auch) vortrefflich streiten.

Nach dem Wiederaufleben des Tangos in den letzten Jahren (oder fast schon Jahrzehnten) sind zwei Linien zu beobachten: Die Vertreter des Tango Nuevo, die versuchen andere und neue Entwicklungsmöglichkeiten für den Tango zu finden und die Traditionalisten (wie beispielsweise das durch die grossen Tangoshows bekannte und nichtsdestotrotz hervorragende Sexteto Mayor oder das Duett Osvaldo Montes / Anínal Arías), die durch neue Arrangements der traditionellen Stücke den Tango weitertragen wollen.

Seit einigen Jahren fangen auch wieder junge Musiker an, sich mit dem Tango auseinanderzusetzen und dieses aufkeimende Interesse ließ Institutionen entstehen, an denen man Tango lernen oder sogar studieren kann – einzigartig in der Geschichte dieser Musik -, wie z. B. die „Escuela de Música Popular“ in Buenos Aires oder die ans Rotterdamer Conservatorium angegliederte Tango- Abteilung. Heute gibt es eine immer weiter anwachsende Zahl von teilweise ausgezeichneten Tangomusikern überall auf der Welt, vor allem aber in Argentinien und Europa. Die meisten von ihnen sind Interpreten, die für ihre jeweiligen Besetzungen die alten Tangos arrangieren. Diese Musiker der – manchmal so genannten – Joven Guardia verbindet vor allem eins: Sie sind alle Post-Piazzollas, die sich von der Übermacht des „Vaters“ des Tango Nuevo nur schwer lösen können. Viele spielen zwar viel und gerne Piazzolla, aber sonst keine neue Tangomusik und neue, eigene Kompositionen entstehen bei den hauptsächlich interpretierenden Ensembles kaum. Trotz der Renaissance der letzten Jahre gibt es also eine Art Stagnation in der Produktion neuer Tangos, die diese Musik weiterentwickelt, ohne dass sie dabei ihre Eigenart verlöre. Eine Ausnahme hierzu bildet das aus Paris stammende Ensemble „Gotan Project“, das elektronische Beats und Samples mit live eingespielten Instrumenten und Stimme überlagert und damit einen natürlich umstrittenen, aber – allerdings auch schwerer tanzbaren – Schritt in Richtung neuer Tango gemacht hat.
Zwar bieten sie weder harmonisch, melodisch oder kompositorisch etwas wirklich Neues. Neu ist vor allem das repetierende Element durch die Sequenzen und Loops und dem durch das Schlagzeug immer explizit präsenten Rhythmus; was erstens untypisch für den Tango ist, aber zweitens gleichzeitig auf formaler Ebene neue Türen öffnen kann.

Ob diese Auffassung vom Tango von langer Dauer sein mag oder nicht, sie ist ein Versuch neue Elemente in den Tango zu integrieren und ist gleichzeitig auch für die Tänzer eine Möglichkeit den Tanz und ihre eigenen Ausdrucksmöglichkeiten weiterzuentwickeln.

Die Rituale
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Rituale des Tango

Rituale des Tango

Die Milonga ist der Tanzsaal. Man benutzt das Wort aber auch für eine Tangoveranstaltung. In einer argentinischen Milonga ist die Partnerwahl eine komplizierteste Sache, denn man muss die versteckten Regeln, Signale und Zeichen kennen, denen man als Tänzer oder Tänzerin folgen muss. Die Milonguera (die Tango-Tänzerin) mustert die anwesenden Tänzer, ihr Blick streift über mehrere Tische, sie wartet auf das richtige Zeichen. Aber zuerst muss sie einen Fremden direkt und intensiv anschauen. Sein Signal ist ein Cabeceo, eine rasches Nicken. Nickt die Milonguera mit einem leichten Lächeln zurück, so hat sie das Angebot angenommen. Der Milonguero steht auf, lächelt intensiver und kommt zum Platz der Tänzerin. Sie erhebt sich ebenfalls und beide gehen zusammen auf die Tanzfläche. Tut die Frau hingegen so, als habe sie das Cabeceo nicht gesehen, dann wird es nichts mit der Umsetzung der Tanzabsicht des Mannes.

Es gilt als Höflichkeitsform, wenigstens zwei Lieder mit einem Partner zusammen zu tanzen. Eine Tanzfolge dauert vier Tangostücke lang. Wer seinen Partner schon nach dem ersten Tanz verabschiedet, der hält ihn sicher nicht für einen guten Tänzer bzw. Tänzerin.  Auch das Rundherum, die Position um die Tanzfläche ist wichtig. In einigen Milongas, vor allem den älteren mit Tradition, haben die besseren Tänzer reservierte Tische. Paare sitzen üblicherweise weiter hinten zusammen und tanzen dann nur miteinander. Singles sitzen weiter vorn. Idealerweise sitzt der Single dort, wo er am einfachsten Zugang zur Tanzfläche bekommen kann und auch gesehen wird. Betritt Mann gemeinsam mit einer Frau die Milonga, so ist die Frau für diesen Abend seine Partnerin. Will ein Paar auch getrennt mit anderen tanzen, so betreten sie separat den Saal; oder aber der Mann macht die Absicht offenkundig und fordert auch andere Frauen zum Tanz auf. Dann darf seine Partnerin ebenfalls von anderen Männern aufgefordert werden.

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Die Wurzeln des Tango Argentino

Theorien zum Ursprung des Wortes Tango

Das Wort Tango wurde zum ersten mal 1836 erwähnt, es bezeichnete Feste, die versklavte Schwarze veranstalteten. So schreibt Esteban Pichardo „Diccionario provincial de voces cubanas“ Tango sei eine „Versammlung der aus Afrika neuangekommenen Neger, bei der diese zum Klang ihrer Trommeln und Pauken  tanzen „. Das ist insofern gut nachvollziehbar, da Buenos Aires und Montevideo Sklavenumschlagsplätze waren.

Manche Etymologien leiten das Wort vom lateinischen tangere ab, bzw. dem portugiesischen Pendant tanger (berühren, ein Instrument spielen), in anderen ist es eine lautmalerische Umschreibeng vom Trommelklang . Anderen ist es ein Wort aus einem afrikanischen Dialekt und sogar Ursprünge von auf Kuba lebenden Japanern werden angenommen. Alle Theorien sind natürlich heftig befürwortet und umstritten .

Candombe, Habanera, Tango Andaluz, Milonga

Der Tango „entstand aus dem Zusammenfluss einheimischer, europäischer, vor allem spanischer und italienischer, sowie kubanischer Elemente .“ In Buenos Aires trafen europäische Einwanderer, die die Musik ihrer Heimat mitbrachten, auf die Einheimischen mit ihren musikalischen Traditionen . Über Kuba verbreitete sich durch die Sklaven der afrikanische Einfluss über den gesamten lateinamerikanischen Kontinent.

Candombe

Der Candombe ist ein kultischer Gruppentanz mit choreographisch festgelegten Szenen , eine Vermischung von liturgischen Elementen der afrikanischen Bantu-Religion und der katholischen Heiligenverehrung .
Musikalisch bestehen kaum Parallelen zum Tango, weder harmonischer oder melodischer Art noch im benützten Instrumentarium ; ausserdem gibt es im Candombe eine ganz andere rhythmische Vielfalt als im Tango mit seiner stilisierten Gleichmäßigkeit. Zudem zeigt der Tango als hauptsächlich improvisierter Paartanz wenig Ähnlichkeit mit der kollektiven Tanzpantomime, die in Reihen und Kreisen getanzt wird und in einem „orgiastischen Freistiltanz“ mündet .

Habanera

Die Habanera ist wie der Tango sowohl ein Paartanz (allerdings nicht eng getanzt) als auch ein Lied, etwa um 1825 in den Vororten von La Havana de Cuba entstanden. Sie wird um 1850 in Spanien populär, wo sie oft als Couplet in den Zarzuelas verwendet wird , und kommt über Paris in die aristokratischen Kreise von Buenos Aires, die alles imitierten, was in Paris in Mode war. Rhythmisch ist sie nicht unterscheidbar vom Tango Andaluz und der Milonga (mit der clave ), weswegen sowohl das Publikum als auch Komponisten sie häufig miteinander verwechselten. Die Unterschiede sind hauptsächlich in der Melodie zu erkennen .

Tango Andaluz

Der Tango Andaluz, um 1850 in Cádiz entstanden, war ein von der Gitarre begleiteter Gesang und Tanz, der erst von einer Frau allein, dann paarweise getanzt wurde, wobei sich die Partner nicht berührten. In Argentinien wurde er im Volkstheater als Couplet und Lied verwendet .

Milonga

Die Vokabel Milonga stammt wahrscheinlich aus dem Ostafrikanischen, als Plural von „mulonga“ – Wort.
In Brasilien bedeutet milonga immer noch Wörter bzw. Gerede, in Uruguay ist milonga die payada pueblera, also der Gesang der Stadtbewohner, im Gegensatz zur payada, dem Gesang der Landbewohner. In Buenos Aires und der Provinz bezeichnet um 1870 das Wort ein Fest oder eine Tanzveranstaltung, sowie den Ort wo sie stattfindet. Außerdem ist es ein Synonym für Wirrwarr, Durcheinander. Die Milonga hat ihren Ursprung in der Pampa Argentiniens. Die rhythmische Formel ist die der Habanera, bloß sehr langsam und zur Begleitung eines Sängers verwendet. Die Milonga hat große Ähnlichkeit mit dem „cantar por cifras“ bzw. der „payada de contrapunto“ der Gauchos. Das ist ein improvisierter Wechselgesang mit Fangfragen und Antworten philosophischen Inhalts, eine Art Nachdenken über das Leben. Eine Payada ist eine Art Wettbewerb zwischen den sich mit der Gitarre begleitenden Sängern, die sowohl die Vorgaben des Gegenüber in der Gitarrenbegleitung variieren als auch inhaltlich auf das Ausgesprochene oder Gesungene antworten müssen. Die städtische Milonga ist dagegen sehr viel schneller und fröhlicher und zeigt deutlich eine Entfernung von den ursprünglichen Payadas.
Die Milonga, die im Gegensatz zum 6/8-Takt des „cantar por cifras“ im 2/4 Takt notiert wird, hat eine einfache melodische Struktur, die schon in die Nähe des Sprechgesangs reicht . Dadurch wird es möglich den konkreten Alltag auszusprechen bzw. zu besingen und Gedanken unmittelbar mitzuteilen. Getanzt wurde sie in den Vororten von einfachen Leuten und in der Umgebung von Großmärkten samt deren Kundschaft.
Musiziert wurde auf allen möglichen Instrumenten, vom Kamm mit Papierblättchen bis zu festen Ensembles aus Flöte, Harfe und Geige. Weiterhin wird ihr unterstellt eine Verspottung der Tänze der Schwarzen zu sein .


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Die Entstehung des Tango Argentino

Vor der Einwanderung

Wirtschaftliche und politische Hintergründe

In Europa brachte die Industrielle Revolution sowohl Massenarbeitslosigkeit und Armut als auch einen dringenden Bedarf an Rohstoffen, Rohstoffproduzenten und neuen Absatzmärkten mit sich, um die neuen Produktionsmöglichkeiten ausschöpfen zu können.

In Argentinien versuchten ab Mitte der 1850er liberale Intellektuelle und Politiker das Land mit ihrem Leitspruch „gobernar es poblar“ (regieren heißt bevölkern) modernisieren und bevölkern. Sie trieb der Wunsch nach kultureller und wirtschaftlicher Entwicklung an . Eine der ersten Maßnahmen war die gewaltsame „Befriedung“ der Pampa was eine fast gänzliche Ausrottung der dort lebenden Indios bedeutete, damit sich dort Europäer ansiedeln konnten, die als kulturell höherstehend betrachtet wurden. Gleichzeitig versprach die argentinische Propaganda, die teilweise mit der Bezahlung der Überfahrt lockte, Arbeitsplätze und Landverteilung für die Einwanderer. Gedacht hatten die Regierenden dabei an Ingenieure, Unternehmer, ausgebildete Arbeiter und Gelehrte, die als kulturell wirtschaftliche Injektion  Argentinien zu einem modernen Staat europäischen Vorbilds verwandeln sollten.

Die Einwanderung

Die ersten Einwanderer kamen im Hafen von Buenos Aires um 1854 an, trafen dort aber auf ganz andere Umstände als erwartet: Nach der Befriedung der Pampa teilten sich nämlich Großgrundbesitzer das „frei“ gewordene Land unter sich auf, so dass die Preise dafür in die Höhe schnellten und also unerschwinglich für die Neuankömmlinge wurde. Alle Versuche einer Landreform scheiterten am Widerstand der Landbarone.

Demographische Explosion

Das Werben für den aufstrebenden Staat zeigte Erfolg: Millionen von Einwanderer verließen ihre Heimat in der Hoffnung auf ein neues, besseres Leben. So wuchs die Einwohnerzahl Argentiniens von 1,8 Millionen 1869 auf 8 Millionen im Jahr 1914. Und Buenos Aires verneunfachte sich von 230000 auf 2 Millionen Bewohner, von denen die Hälfte Ausländer waren .

Zwar traten viele wieder die Rückfahrt an, nachdem sie gesehen hatten, dass wegen der Bodenspekulationen kein Land mehr erworben werden konnte und es auch zu wenig Arbeitsplätze in der unterentwickelten Industrie gab. Doch erreichten immer neue Immigrationswellen den südamerikanischen Kontinent.

Wer und woher waren die Einwanderer?

Die Einwanderer stammten hauptsächlich aus Europa und zwar zu großen Teilen aus Italien, aber auch aus Spanien, Frankreich, England, Deutschland, Österreich-Ungarn und Russland. Einige brachen auch aus dem vorderen Orient nach Argentinien auf.
Die meisten kamen aus verarmten ländlichen Gegenden , waren oft ungelernte Arbeiter, die – ohne Geld, oft auch ohne Ausbildung, Beruf und Bildung – überhaupt nicht dem erwünschten Idealtypus des Einwanderers entsprachen.

So wurden beide Seiten enttäuscht: Die einheimischen Politiker, die eine Art kultureller und wirtschaftlicher Elite erwarteten und die Immigranten, die davon träumten Land zu bekommen oder gute Arbeit zu finden und die Familie nachkommen zu lassen, um ein neues Leben zu beginnen.

Soziale Situation

Eine weitere Absicht der Bevölkerungspolitik kehrte sich auch in ihr Gegenteil um, denn fast alle Neuankömmlinge ließen sich in Buenos Aires nieder und nicht in den ländlichen Regionen. Dazu kamen noch die Gauchos , die wegen der Umzäunung des aufgeteilten Landes und der Modernisierung der Landwirtschaft ihre Arbeit verloren, als Binnenmigranten in die Hauptstadt kamen und nach neuer Beschäftigung suchten.

Die Lebensbedingungen in den Conventillos, den immer überfüllten Massenunterkünften mit wenigen sanitären Anlagen und schlechten hygienischen Zuständen, waren katastrophal . In den arrabales gelegen, waren die Conventillos von etwa 70% Ausländern, aber auch kreolischer Landbevölkerung bewohnt. Ohne große Zukunftsaussichten, in einer Situation enormer Unterbeschäftigung, verdienten sie ihr Geld als Hilfsarbeiter, Hafenarbeiter, Tagelöhner, Dienstpersonal und Handwerker .

Ab etwa 1850 bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts fand in Argentinien und Uruguay ein gesellschaftlicher Gärungsprozess statt , bei dem zwar die Herrschaftsverhältnisse nicht grundsätzlich verschoben wurden, da Großgrundbesitz, Finanz und Handel in der Hand von Familienclans blieben, jedoch in anderen Bevölkerungsschichten ein harter Verdrängungswettbewerb und Überlebens- und Verteilungskampf stattfand. Dabei traten die vielen Konflikte und Widersprüche der argentinischen Gesellschaft offen zu Tage: Zwischen Einwanderern und Einheimischen, zwischen qualifizierten und ungelernten Einwanderern, zwischen eingewandertem und kreolischem Landproletariat, zwischen Einwanderern und deren Kindern. Nicht zuletzt gab es auch unterschiedliche politische Auffassungen . Ohne politische und ökonomische Teilhabe, in einem Umfeld sozialer, ethnischer und gesellschaftlicher Spannungen entstand eine Atmosphäre, die von Heimweh, Entwurzelung, Frustration und Bitterkeit geprägt war.

Die Wurzeln und die Musik des Tango Argentino`s
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